Laut Studien ist die emotionale Belastung durch moralische Konflikte einer der Hauptgründe dafür, dass Pflegekräfte ihren Beruf vorzeitig verlassen oder einen Ausstieg in Erwägung ziehen. Diese Erkenntnis hat die Geschäftsführung der Pflegefreunde zum Nachdenken angeregt. Wie könnte man die emotionale Belastung in der ambulanten Pflege verringern? Ein Ergebnis ist die Bedarfsleistung „helfen“, welche in diesem Text vorgestellt wird.
Zunächst wurde geschaut, welche moralischen Konflikte es in der ambulanten Pflege überhaupt gibt und wodurch diese hervorgerufen werden. Danach ging es an die Überlegungen, wie man diese Konflikte umgehen kann. Dabei wurde neben der Mitarbeiter-Seite auch die Patienten- sowie Unternehmens-Seite betrachtet, um das Beziehungsdreieck in einer Waage zu halten.
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„Können Sie mal eben…“
In der ambulanten Pflege werden alle Tätigkeiten, die ein Patient zuhause benötigt, in Leistungen erfasst. Diese Leistungen der Körperpflege, Medizinischen Pflege und Hauswirtschaft müssen von den Pflegekräften so umgesetzt werden, wie sie im Tourenplan festgelegt sind. Ansonsten würde die ambulante Versorgung organisatorisch und finanziell nicht funktionieren. Denn der ambulante Pflegedienst wird nach Leistungen abgerechnet und die Tour an sich wird nach Art und Dauer der Leistungen geplant. Wenn bei Frau Müller die Leistung „Kompressionsstrümpfe anziehen“ für 5 Minuten drinsteht, hat Pflegekraft Meier eben diese 5 Minuten für die Kompressionstrümpfe eingeplant. Mehr muss und soll sie aus Sicht des Pflegedienstes auch nicht leisten. Jedoch kommt es nicht selten vor, dass die Pflegekraft um Kleinigkeiten oder auch „heimliche Leistungen“ gebeten wird: „Können Sie mir noch eben eine Wasserflasche aus dem Keller holen.“ „Können Sie mir bitte noch die Post aus dem Briefkasten bringen?“ „Bitte öffnen Sie noch eben die Rollläden in meiner Wohnung.“ Die Reihe an Beispielen lässt sich fortführen. Und genau hier entsteht der moralische Konflikt:
„Studien zeigen, dass Pflegekräfte häufig aufgrund emotionaler Belastungen in moralische Konflikte geraten. Diese Konflikte entstehen oft, wenn Pflegekräfte zwischen ihrem Wunsch zu helfen und den formalen Vorgaben ihres Arbeitgebers stehen. Solche Situationen können zu Frustration und Unzufriedenheit führen“ – Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin
Jetzt muss die Pflegekraft überlegen, ob sie der Bitte des Patienten nachgeht oder nicht. Ihr Gewissen sowie das Bedürfnis, dem Patienten zu helfen, möchte dieser Bitte gerne nachgehen. Dennoch hat sie im Hinterkopf, dass dies keine Leistung ist, die bezahlt wird und sie zudem zum nächsten Patienten muss, um den Tourenplan einzuhalten. Dazu kommt die Einstufung nach „guter“ und „böser“ Pflegekraft aus Sicht des Patienten. Entscheidet die Pflegekraft sich zum Beispiel dafür, der Bitte nicht nachzugehen, kann es passieren, dass sie als „böse Pflegekraft“ abgestempelt wird. Dann heißt es vielleicht vom Patienten „ihre Kollegin Frau Schmidt hat mir aber letzte Woche den Gefallen getan“. Dadurch nimmt die emotionale Belastung weiter zu.
Bedarfsleistung „helfen“
Um diesen moralischen Konflikt zu vermeiden, wurde zu Beginn des neuen Jahres eine neue Leistung bei den Pflegefreunden eingeführt. Die Bedarfsleistung „helfen“ umfasst genau diese beschriebenen heimlichen Leistungen und kann individuell angefordert und erbracht werden.
„Gemeinsam schaffen wir eine Pflege vor Ort beim Patienten mit weniger moralischen Konflikten bei nachgefragten Hilfen“ – Alexander Herms Geschäftsleitung
Im Vorfeld ist bereits alles geklärt:
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Wenn ein Patient die Pflegekraft nun um etwas bittet, was keiner festvereinbarten Leistung entspricht, muss die Pflegekraft nicht mehr darüber nachdenken und sich auch nicht rechtfertigen. Sie geht der Bitte nach und dokumentiert diese dann im internen System. Dem Patienten ist dabei bewusst, dass eine Leistung erbracht wird, für die er bezahlen muss.
„Weniger Stress durch weniger Diskussionen vor Ort, weil alles im Vorfeld vereinbart ist!„ – Alexander Herms Geschäftsleitung
Das Bewusstsein der erbrachten Leistungen
Im ersten Moment erscheint es einer Pflegekraft vielleicht als unmoralisch eine so „kleine“ Bitte, wie beispielsweise die Post ans Bett bringen oder die Rollläden hochziehen, in Rechnung zu stellen. Es muss sich jedoch einerseits bewusst gemacht werden, dass sich der Arbeitsaufwand und damit die Kosten summieren, wenn dies bei allen unserer 300 Einsätze pro Tag durchgeführt werden würde. Andererseits darf sich jede Pflegekraft bewusst machen, dass sie für jede noch so kleine erbrachte Leistung wertgeschätzt werden sollte. Schauen wir auf folgende Situation: Ein Handwerker kommt zu einem nach Hause, um den kaputten Backofen zu reparieren. Zusätzlich bittet man diesen spontan darum, auch die Glühbirnen in der Wohnung auszutauschen und sich den defekten Kühlschrank anzuschauen. Hier ist es für jeden selbstverständlich, dass diese extra Leistungen auch in Rechnung gestellt werden. Die Leistungen waren vorher nicht vereinbart und sie haben mehr Arbeitszeit in Anspruch genommen. Warum sollte man die erbrachte Leistung eines Handwerkers wertschätzen, die einer Pflegekraft aber nicht?
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Die Pflegefreunde entwickeln sich stetig weiter und wir freuen uns sehr, mit der Bedarfsleitung „helfen“ einen Beitrag leisten zu können, die emotionale Belastung in der ambulanten Pflege zu verringern. Es ist nicht immer einfach das Gleichgewicht zwischen den Bedürfnissen der Mitarbeiter, Patienten und Unternehmen zu halten. Wir glauben aber, dass wir dies im Bezug auf die moralischen Konflikte mit der Bedarfsleitung „helfen“ schaffen können.
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